Die klaren Linien und funktionalen Formen der Bauhaus-Architektur prägten das moderne Design nachhaltig.
Die Geburt einer Bewegung
Im Jahr 1919 gründete Walter Gropius in Weimar das Staatliche Bauhaus, eine Hochschule für Gestaltung, die die Welt der Architektur und des Designs für immer verändern sollte. Die Bauhaus-Bewegung entstand aus der Überzeugung heraus, dass Kunst, Handwerk und industrielle Produktion miteinander verschmelzen müssen, um eine neue, moderne Gesellschaft zu schaffen.
Gropius' Vision war revolutionär: Er wollte die traditionelle Trennung zwischen "schöner" und "angewandter" Kunst aufheben und stattdessen eine Synthese aus Funktionalität und Ästhetik schaffen. Diese Philosophie sollte nicht nur die Architektur, sondern alle Bereiche des Designs erfassen – von Möbeln über Typografie bis hin zur Stadtplanung.
Grundprinzipien der Bauhaus-Architektur
Die Bauhaus-Architektur basiert auf mehreren fundamentalen Prinzipien, die heute noch in der modernen Architektur zu finden sind:
Form folgt Funktion
Das wichtigste Prinzip des Bauhaus besagt, dass die Form eines Gebäudes direkt aus seiner Funktion abgeleitet werden soll. Überflüssige Ornamente werden vermieden, stattdessen bestimmt der Zweck das Aussehen.
Klare geometrische Formen
Bauhaus-Gebäude zeichnen sich durch einfache, geometrische Formen aus. Kuben, Rechtecke und Zylinder dominieren, während geschwungene Linien selten verwendet werden.
Industrielle Materialien
Stahl, Glas und Beton werden als moderne Materialien gefeiert. Diese ermöglichen nicht nur neue konstruktive Möglichkeiten, sondern verkörpern auch den Geist der industriellen Moderne.
Offene Grundrisse
Anstelle der traditionellen Aufteilung in viele kleine Räume bevorzugt das Bauhaus offene, flexible Raumkonzepte, die verschiedene Nutzungen ermöglichen.
Schlüsselfiguren der Bewegung
Das Bauhaus war ein Sammelpunkt für viele der einflussreichsten Architekten und Designer des 20. Jahrhunderts:
Walter Gropius (1883-1969)
Als Gründer und erster Direktor des Bauhaus legte Gropius den theoretischen Grundstein der Bewegung. Seine eigenen Bauten, wie das Fagus-Werk in Alfeld, zeigten früh die Prinzipien der neuen Architektur.
Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969)
Der letzte Direktor des Bauhaus entwickelte den Stil zur Perfektion weiter. Sein berühmter Ausspruch "Weniger ist mehr" wurde zum Leitsatz der modernen Architektur.
Marcel Breuer (1902-1981)
Breuer war nicht nur für seine revolutionären Möbelentwürfe bekannt, sondern auch für seine Beiträge zur Bauhaus-Architektur, insbesondere im Bereich des sozialen Wohnungsbaus.
Ikonische Bauhaus-Gebäude in Deutschland
Trotz der nur 14-jährigen Existenz des Bauhaus entstanden in Deutschland zahlreiche Gebäude, die bis heute als Ikonen der modernen Architektur gelten:
Bauhaus-Gebäude Dessau (1925-1926)
Das von Gropius entworfene Hauptgebäude der Schule in Dessau ist vielleicht das bekannteste Beispiel der Bauhaus-Architektur. Die Glasfassade und die asymmetrische Komposition zeigen alle Prinzipien der Bewegung.
Weißenhofsiedlung Stuttgart (1927)
Diese Mustersiedlung unter der Leitung von Mies van der Rohe vereinte internationale Architekten und zeigte, wie modernes Wohnen aussehen könnte. 17 Gebäude demonstrierten verschiedene Ansätze des neuen Bauens.
Fagus-Werk Alfeld (1911-1925)
Obwohl vor der offiziellen Bauhaus-Gründung entstanden, gilt dieses von Gropius entworfene Fabrikgebäude als Vorläufer der Bauhaus-Architektur und ist heute UNESCO-Weltkulturerbe.
Einfluss auf die Nachkriegsarchitektur
Nach der erzwungenen Schließung des Bauhaus durch die Nationalsozialisten 1933 emigrierten viele seiner Mitglieder in die USA, wo sie den "International Style" prägten. In Deutschland lebte die Bauhaus-Tradition nach dem Krieg wieder auf:
Der Wiederaufbau deutscher Städte war stark von Bauhaus-Prinzipien beeinflusst. Funktionale Wohnsiedlungen, klare Verwaltungsgebäude und moderne Schulen entstanden nach den Grundsätzen der Bewegung. Besonders in West-Berlin, Hamburg und Köln entstanden bedeutende Beispiele der Nachkriegsmoderne.
Architekten wie Sep Ruf, Egon Eiermann und Hans Scharoun entwickelten die Bauhaus-Ideen weiter und passten sie an die neuen gesellschaftlichen Bedürfnisse an. Dabei behielten sie die Grundprinzipien der funktionalen Moderne bei, erweiterten sie jedoch um regionale und klimatische Besonderheiten.
Bauhaus heute: Erbe und Fortsetzung
Die Prinzipien des Bauhaus sind heute aktueller denn je. In Zeiten des Klimawandels und der Urbanisierung bietet die Bauhaus-Philosophie wichtige Ansätze:
- Nachhaltigkeit: Die Betonung der Funktionalität führt zu ressourcenschonenden Entwürfen
- Flexibilität: Offene Grundrisse ermöglichen anpassungsfähige Nutzungen
- Präfabrikation: Industrielle Bauweisen reduzieren Kosten und Bauzeit
- Interdisziplinarität: Die Verbindung verschiedener Disziplinen führt zu ganzheitlichen Lösungen
Moderne Architekten wie David Chipperfield, Diener & Diener oder Caruso St John zeigen, wie Bauhaus-Prinzipien in zeitgenössische Architektur übersetzt werden können, ohne dabei in bloße Nachahmung zu verfallen.
Kritik und Diskussion
Trotz des enormen Einflusses blieb das Bauhaus nicht ohne Kritik. Hauptkritikpunkte sind:
Soziale Kälte
Kritiker bemängeln, dass die strenge Funktionalität zu "kalten" und "unmenschlichen" Räumen führe, die soziale Bedürfnisse vernachlässigen.
Monotonie
Die Vereinheitlichung von Formen und Materialien habe zu einer Verarmung der architektonischen Vielfalt geführt.
Kontextlosigkeit
Die universellen Prinzipien berücksichtigen oft nicht lokale Traditionen und klimatische Besonderheiten.
Diese Kritikpunkte haben zu einer Weiterentwicklung der modernen Architektur geführt, die Bauhaus-Prinzipien mit regionalen Traditionen und sozialen Bedürfnissen verbindet.
Fazit: Ein bleibendes Erbe
Das Bauhaus hat die Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. Seine Prinzipien – Form folgt Funktion, Klarheit der Konstruktion, Integration von Kunst und Technik – sind heute selbstverständlicher Teil der architektonischen Sprache.
Für angehende Architekten und Bauherren bietet das Bauhaus wertvolle Lektionen: Es zeigt, wie durchdachte Gestaltung sowohl ästhetisch ansprechend als auch funktional sein kann. Gleichzeitig mahnt es zur Vorsicht vor doktrinärer Anwendung seiner Prinzipien.
Die deutsche Architektur verdankt dem Bauhaus ihre internationale Ausstrahlung. Von Berlin bis München, von privaten Wohnhäusern bis zu öffentlichen Gebäuden – überall finden sich Spuren dieser revolutionären Bewegung, die vor über 100 Jahren begann und bis heute nachwirkt.